Reise nach Russland: „Gute Auslastung der Werkstatt, aber noch nicht marktreif“ - news.ekir.de (2023)

„Ich war bestimmt hundert Mal in Pskow“, sagt Klaus Eberl. "Aber diese Reise ist etwas Besonderes für mich." Nachdem die Putin-Regierung einen Angriffskrieg gegen die Ukraine begonnen hatte, änderte sich die Situation in Russland radikal. Eberl, Oberkirchenrat und Vorsitzender derInitiative Pskow, ist auf einer Reise in die gleichnamige Stadt im Nordwesten Russlands.Das dortige Heilpädagogische Zentrum (HPZ) ist eng mit der Rheinischen Kirche verbunden.Es stammt aus einer Zusammenarbeit mit den 1990er JahrenEvangelische Kirchengemeinde Wassenbergwurde gegründet und hat sich mittlerweile zu einem Vorzeigeprojekt für die Arbeit mit Menschen mit Behinderungen in ganz Russland entwickelt. Bei seinem jetzigen Besuch geht es Eberl vor allem darum, den Partnern in Pskow klar zu machen: „Wir stehen zu den Vereinbarungen, die wir getroffen haben, und wir wollen, dass die humanitäre Arbeit fortgesetzt wird.“ In sein Reisetagebuch schreibt er für ekir. de über seine Erfahrungen und Begegnungen berichten.

Montag, 26. September 2022: Gute Auslastung in der Werkstatt

Heute besuche ich die Werkstatt für behinderte Menschen. Dieter Bach (90 Jahre), ehemaliger Geschäftsführer der „Initiative Pskow“ und Reimar Kirchhoff (95 Jahre), Architekt des Gebäudes, haben den Bau zu einer Herzensangelegenheit gemacht. Sie werden vom Zustand dieser Anlage begeistert sein. Die Werkstatt wird von Watschilav Sukmanov kompetent geleitet und von einer Gruppe von Werkstattleitern aus deutschen Werkstätten für behinderte Menschen fachlich unterstützt.

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Diese Form der Beschäftigung behinderter Menschen ist in Russland noch nicht etabliert. Es hat auch lange gedauert, einen so engagierten Regisseur zu finden. Textilverarbeitung, Holzwirtschaft, Gartenbau sind Schwerpunkte der Arbeit. Und natürlich die Produktion der „Pskov Angels“. Inzwischen ist auch die Wäsche gut ausgelastet. Aber insgesamt gibt es keine steuerlichen Anreize, die Leistungen einer Behindertenwerkstatt marktfähig zu machen. Für die „Initiative Pskow“ stand in den letzten Jahren der Ausbau einer Kindertagesstätte im Vordergrund. Inzwischen ist der Rohbau fertig und die Räume können voraussichtlich im Frühjahr oder spätestens im Sommer bezogen werden.

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Zurück im Hotel gehen mir tausend Fragen durch den Kopf. Wie kann es sein, dass wir in Deutschland und Russland von so unterschiedlichen Realitäten politischer Konflikte ausgehen? Das lässt mich ziemlich ratlos zurück. Ein letztes gemeinsames Abendessen. Große und kleine Erinnerungen an die gemeinsame Arbeit werden ausgetauscht. Unsere Partnerschaft ist stark und hält auch unterschiedliche Sichtweisen aus. Jetzt packen für die Heimreise. 500 Engel in einem Koffer reisen mit mir.

Sonntag, 25. September 2022: Betreutes Wohnen wird immer wichtiger

Yuri Kuznetsov arbeitet bei einem privaten Fernsehsender und ist ein bekannter russischer YouTuber und Inklusionslobbyist. Als Kind mit einer körperlichen Behinderung erlebte er, was es bedeutet, in eine Anstalt (russisch: Internat) abgeschoben zu werden und sich dem täglichen Kampf ums Überleben zu stellen. Mit Behinderung in Würde leben – darum geht es. Yuri interviewt mich für seinen Fernsehsender. Er fragt nach dem Ursprung unserer Arbeit in Pskow, der theologischen Motivation und der Bedeutung des Pskower Engels. Ein Engel mit einem großen und einem kleinen Flügel. Ein Engel mit einer Behinderung. Ich erkläre, dass die Notwendigkeit von Ergänzungen und Hilfen Konstanten in meinem Menschenbild sind. Menschen sind keine zweibeinigen Götter, aber jeder muss lernen, mit seinen eigenen Grenzen zu leben.

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Betreutes Wohnen ist eine Chance für betreute Freiheit. Dieses Arbeitsfeld wird für die Pskow-Initiative immer wichtiger. Vorsichtig öffne ich die Tür zu einer Wohngemeinschaft in der Stadt. Vor dem Einzug in die WG wurden die sechs Bewohner in einer Ausbildungswohnung für die alltäglichen Aufgaben in einer WG fit gemacht. Lena begrüßt mich. Sie leitet dieses Arbeitsfeld von Anfang an. Als Nastja mich sieht, ruft sie laut und langgezogen meinen Namen: „Klaaaaus“. So begrüßt sie mich seit Jahren und ist sehr stolz, dass sie meinen Namen nicht vergessen hat. Es gibt nur drei Bewohner zu Hause. Die anderen besuchen am Wochenende ihre Eltern.

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Zurück im Hotel gibt es endlich Gelegenheit, über den Krieg zu sprechen. Ich habe mich entschieden, aggressiver zu fragen. Und ich bekomme Antworten von Freunden und Wegbegleitern, aber auch von Fremden, die gerade im Hotel sind. Es dauert nicht lange, bis die Unterschiede in der Einschätzung des Sachverhalts deutlich werden. Inhaftierung von Kriegsgegnern? Gründe für die Militäraktion? Bewertung von Waffenlieferungen an die Ukraine? Gefahr durch den Einsatz von Atomwaffen? Ich muss an die alte Erkenntnis denken, dass das erste Opfer des Krieges die Wahrheit ist. Aber was ist die Wahrheit in diesem Konflikt? In mindestens einem Punkt muss ich mich korrigieren. Ich hatte nicht geglaubt, dass etwa 80 Prozent die offizielle Politik in Russland gutheißen und 20 Prozent ebenso vehement dagegen sind. Wenn ich jedoch meine Gespräche auswerte, komme ich zu genau diesem Ergebnis. Nämlich für Menschen, die alle Informationen über das Internet beziehen können.

Am Abend fahre ich mit Andrej zum Pskower See. Etwa 20 Kilometer von der Stadt entfernt hat er sich eine Datscha gekauft und gerade die dazugehörige Banja, eine Art Sauna, fertiggestellt. Ich werde mit Köstlichkeiten aus dem Garten und Baltika-Bier verwöhnt. Zwischendurch schwitzen wir und schlagen uns mit Birkenzweigen, um die Wirkung der Hitze zu verstärken.

Samstag, 24. September 2022: Große Veränderungen in der Schule

Das Heilpädagogische Zentrum ist seit einigen Jahren mehr als die ursprüngliche Förderschule mit dem Schwerpunkt geistige Entwicklung. Zunächst kam das Frühförderzentrum „Limpopo“ hinzu, mit starker Unterstützung der Rurtalschule in Heinsberg und des Kirchenkreises Lennep. Svetlana Nasarkina berichtet ausführlich über die Arbeit des Zentrums. Die Eltern sind während der therapeutischen Maßnahmen immer anwesend. Entscheidend für den Erfolg der Förderung ist die Zusammenarbeit von Eltern und einem multiprofessionellen Team.

Die Kindergärten erinnern mich daran, dass das ganze System koordiniert werden muss. Die Aufnahme der Kinder in den Vorschulgruppen in die Förderschule ist nur möglich, wenn genügend Schulabgänger in die Werkstatt aufgenommen werden. Eigentlich wäre es jetzt gut, wenn es einen Mitarbeitertausch mit Wassenberg-Pädagogen gäbe. Das Interesse ist groß. Aber die Grenzen sind im Moment geschlossen.

Die größten Veränderungen gibt es in der Schule. Sie ist mit dem Siegel „Gute Schule“ ausgezeichnet. Die Auszeichnung war mit einem kräftigen Zuschuss aus Moskau für die Ausrüstung verbunden. Dadurch wurde nicht nur die Kapazität der Schule erhöht, sondern auch das gesamte Inventar rollstuhlgerecht gestaltet. „Universal Design“ spielt auch im Park im angrenzenden Wald eine Rolle. Das Grundstück gehört auch der Schule. Damals wurde das Design mit einem Stipendium der EU unterstützt. Die Gemeinde Wassenberg hat die Maßnahme vorfinanziert. Ob die zugesagten Mittel tatsächlich fließen, ist angesichts der angespannten politischen Lage noch unklar. Ein Ausfall der EU-Gelder wäre ein herber Rückschlag für den Haushalt der Gemeinde Pskow.

Am Abend Happy Dinner mit Mitarbeitern des Auswärtigen Amtes der Stadt. Erinnerungen werden ausgetauscht. Ein bisschen Abenteuer war immer dabei. Nächstes Jahr können wir unser 30-jähriges Bestehen feiern. Jahrzehnte voller Geschichten, die den Wert zivilgesellschaftlicher Kontakte zeigen. Versöhnung braucht langen Atem. Es wird nie ein Wort gesprochen. Das Wort Krieg. Es ist fast wie in den Harry-Potter-Romanen. Derjenige, dessen Name nicht genannt werden darf.

Freitag, 23. September 2022: Ankunft in Pskow

Die meisten Verbindungen nach Russland sind unterbrochen. Ich komme weder mit dem Flugzeug noch mit dem Zug nach Pskow. Daher abends erstmal mit Airbaltic nach Riga/Lettland. Das Hotel ist in einer pechschwarzen Nacht schwer zu finden. Da erfuhr ich, dass Swetlana, die großartige ehemalige stellvertretende Direktorin des HPZ, mich nicht abholen konnte. Ihr Dauervisum wird nach den Entscheidungen der baltischen Staaten vom vergangenen Montag nicht mehr anerkannt. Zum Glück hat Tatjana, eine Angestellte der Pskower Stadtverwaltung, eine Freundin in Riga. Er fährt mich zur Grenze. Die estnischen Grenzwächter fragen verwundert, warum ein Deutscher freiwillig nach Russland reist. Ich zeige meine Ehrenbürgerkarte vor. Die Grenzer sind sichtlich beeindruckt. Ein freundlicher Porsche-Fahrer hilft mir, das Niemandsland zu durchqueren. Zu Fuß würde ich es mit Gepäck nicht schaffen. Dann dauert es zwei Stunden, bis zehn Autos am russischen Grenzübergang abgefertigt sind.

Swetlana wartet bereits auf russischer Seite. Eine weitere Stunde Fahrt nach Pskow. Ich muss mich erinnern, dass wir vor fast zwanzig Jahren mit einer Fahrradgruppe von Wassenberg nach Pskow gefahren sind. 2700 Kilometer; Damals waren die Straßen der Stadt mit Fähnchen geschmückt, um uns willkommen zu heißen. Eine solche Ehre ist diesmal nicht zu erwarten. Aber vor dem Hotel warten Andrej, der Leiter des Heilpädagogischen Zentrums, das Dreh- und Angelpunkt der Behindertenhilfe in Russland, und Oxana, die Schulleiterin, auf mich.

Eine Stunde später treffe ich in der Behindertenwerkstatt Vera, die stellvertretende Gouverneurin der Region Pskow. Sie brachte die neue Sozialministerin mit. Wir versichern uns gegenseitig, dass die erfolgreiche humanitäre Zusammenarbeit auch in diesen turbulenten Zeiten fortgesetzt werden muss. Das Wort Krieg wird nicht ausgesprochen. Es ist der 24. Februar. Die Politikerin kennt unser Engagement von Anfang an und unterstützt die Versöhnungsarbeit nach Kräften. Am Ende des Besuchs bestaunen wir den fertiggestellten Rohbau eines neuen Trakts für die Kita. Ab Frühjahr 2023 werden dort Erwachsene mit schwerer geistiger und mehrfacher Behinderung betreut und in ihren Alltagskompetenzen gefördert. Dies ist derzeit ein Schwerpunkt der „Initiative Pskow“.

Donnerstag, 22. September 2022: Auf nach Riga

"Du bist verrückt!" sagten Freunde, als ich ihnen sagte, dass ich nach Russland fahre - ins Heilpädagogische Zentrum und Werkstatt in Pskow. „Vor allem jetzt, wo Russland in der Ukraine Krieg führt!“ Ich war sicher hundert Mal in Pskow, um dort mit unseren Partnern daran zu arbeiten, die Lebensbedingungen von Menschen mit Behinderungen zu verbessern. Aber diese Reise ist anders als alle bisherigen. Eine Reise inmitten einer Zeit, die von großen Unsicherheiten geprägt ist.

1991, 50 Jahre nach dem deutschen Überfall auf die Sowjetunion, hatte die Rheinische Kirche die Idee, eine Einrichtung zur Förderung von Menschen mit schwerer geistiger Behinderung und Mehrfachbehinderung als Zeichen der Versöhnung zu schaffen. Zuerst wurde eine Schule gebaut, später eine Kindertagesstätte, Kindergärten, eine Werkstatt und kleine Wohngemeinschaften in der Stadt. Inzwischen sind die Behinderteneinrichtungen in Pskow die Referenz für ganz Russland. Rund 700 „Kunden“ erhalten Beratung, Betreuung, Betreuung und Aufklärung.

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Die Erfahrungen, die die Initiative Pskow und die Evangelische Kirchengemeinde Wassenberg als Gründer des Projekts mit den russischen Partnern gemacht haben, stehen im krassen Gegensatz zu den Bildern und Botschaften, die die russische Armee während ihres Angriffskrieges hinterlassen hat. bin ich verrückt Ich habe Russland von einer anderen Seite kennengelernt: die großartige Kultur, grenzenlose Gastfreundschaft, eine geheimnisvolle Melancholie der Landschaft. Vor allem aber: wunderbare Menschen, die sich selbstlos unter schwierigsten Bedingungen für andere einsetzen. Viele russische Projektpartner sind über die Jahre zu Freunden geworden. In unsicheren Zeiten brauchen Sie das Signal: Wir ziehen uns nicht zurück! Wir stehen zu unserem Versprechen, Sie zu unterstützen! Neben all den praktischen Fragen, die verhandelt werden müssen, ist das der Grund für die Reise.

Ich werde jeden Tag berichten. Schon vor der Ankunft gibt es Probleme. Sowohl die EU als auch Russland verschärfen diese Woche die Visabestimmungen. Die Nachrichten berichten von einer Teilmobilisierung in Russland. Ich fliege heute Abend nach Riga/Lettland. Dann irgendwie über die Grenze. Also improvisieren. Ich bin begeistert.

  • Klaus Eberl, Red.
  • Klaus Eberl

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Author: Gregorio Kreiger

Last Updated: 06/20/2023

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